1H: Coole Köpfe in der Nervenschlacht


„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ Noch auf mancher Autobahnraststätte waren die Gesänge zu hören. Die Erleichterung über einen der größten Siege des HTC Uhlenhorst seit dem Gewinn der Deutschen Feld-Meisterschaft 1997 war riesengroß. Nicht nur auf der A 1 war die Stimmung prächtig, bereits einige Stunden zuvor, exakt um 15.44 Uhr, tanzten, hüpften, sprangen die Mülheimer durch die Alster-Halle. Sie hatten die wahnsinnige und lautstarke Menge von 1.200 Zuschauern zum Schweigen gebracht. Eine wahre Nervenschlacht gewann der HTCU mit 7:6 nach Verlängerung beim Club an der Alster Hamburg. Dank eines Tores von Jannik Otto in der 75. Minute. 44 Sekunden vor dem Ende sorgte er damit für die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft am 30./31. Januar in Berlin. Halbfinal-Gegner ist der Mannheimer HC. Das zweite Match bestreiten der Rüsselsheimer RK und der Harvestehuder THC.
„Unsere Vorstellung war sicher kein spielerisches Glanzlicht. Aber mein Team hat mentale Stärke bewiesen, sich nie aus der Ruhe bringen lassen, nicht von den späten Gegentoren, nicht von umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen, die in der Halle einfach dazu gehören, nicht von der unfassbar lauten Kulisse. Wir wussten, das Spiel wird im Kopf entschieden. Und das junge Team ist hier beeindruckend cool geblieben“, sagte Trainer André Henning und spielte dabei darauf an, dass die Uhlen beinahe immer in Führung lagen, Alster aber (beinahe) immer eine Last-Minute-Antwort parat hatte.
Die Mülheimer erwischten einen Glanzstart in die Partie und dominierten die erste Viertelstunde. Lohn: Thilo Stralkowski und Benedikt Fürk, der für das Viertelfinale auf einen Einsatz im Nationaldress verzichtet hatte, schossen eine 2:0-Führung heraus. Viele weitere Offensiv-Aktionen der Uhlen vereitelte der gute Alster-Keeper Jonny Jaeckh.
Eine umstrittene Kurze Ecke (wegen nicht eingehaltenen Abstands beim Selfpass) brachte schließlich den Anschlusstreffer durch Jonathan Fröschle. Die Partie kippte. Das 2:2 zur Pause war verdient.
Trainer Henning forderte sein Team auf, zur festgelegten Strategie zurückzukehren, was nach dem Seitenwechsel auch gelang. Das zwischenzeitliche 3:2 durch von Drachenfels brachte das Team keineswegs aus dem Konzept, ein Dreierpack von Gehlen, Schmitz und Stralkowski sorgte für eine 5:3-Führung (40.), die das Team allerdings zu sehr verwaltete. Dennoch waren eine Menge Konterchancen da, zudem blieben alle drei Uhlenhorster Ecken dieser Partie ungenutzt.
So kamen die Hamburger noch zum Ausgleich, beim 5:5 durch Jonathan Fröschle keine zwei Minuten vor dem Ende flippten die Fans völlig aus. Der Dezibel-Pegel glich dem eines Raketenstarts – Verlängerung, zweimal siebeneinhalb Minuten. Beide Teams begannen vorsichtig, die Spannung war greifbar und einige Akteure gingen nach einer mitreißenden und temporeichen Partie längst auf dem Zahnfleisch.
Es folgte der Auftritt des Ole Keusgen: Langer Ball über die linke Bande, Keusgen dreht über die Vorhand ab, erster Zieher, zweiter Zieher, schon steht er im Kreis – und schiebt ganz cool an Keeper Jaeckh vorbei: 6:5! Ein Klasse-Treffer.
Damit wurden die Seiten gewechselt. Die Uhlen verteidigten furios, Keeper Tim Welsch fischte drei, vier der Sorte „unhaltbar“; sie kämpften, angepeitscht und angefeuert von rund 80 mitgereisten Fans, die in der 72. Minute ihren Augen nicht trauten: Jan Gehlen bekam den Ball kurz hinter der Mittellinie an den Fuß, Schiedsrichter Albrecht hielt das für Absicht – eine knifflige Entscheidung. Kurze Ecke. Noch drei Minuten. Die Mülheimer laufen zu früh raus. Wiederholung. Zu frühe Rausgabe von Alster. Erneut Wiederholung. Der nächste Versuch: Fröschle schießt und Torwart Tim Welsch hält! Schiri Zysk hatte einen Fuß gesehen. Erneut Wiederholung. Alster spielt die Variante über den Rausgeber, von Drachenfels bleibt cool. 6:6 – keinen hielt es mehr auf seinem Sitz.
Die Hamburger erobern, 90 Sekunden vor Schluss den Ball, die Mülheimer stehen tief und gut. Dann kam der Angriff ins Mülheimer Glück: Kapitän Tim Leusmann erobert mit furiosem Einsatz den Ball, Thilo Stralkowski startet durch, diagonal durch die ganze Halle, ist halb links im Schusskreis, schießt er? Keeper Jaeckh kommt raus, Stralkowski geht in die Ecke, sieht das nachgerückte Laufwunder Jannik Otto, 90 Grad aufgelegt, das Tor ist leer, Otto stoppt, Jaeckh dreht sich, hechtet zurück, schmeißt sich in seinen Kasten, doch Jannik Otto hebt die Kugel butterweich in den Winkel. 7:6 für Mülheim. 40 Sekunden vor dem Ende. Jubel, Hüpfer, Umarmungen.
Doch es war nicht vorbei. Alster nimmt den Keeper heraus, kommt noch einmal in die linke Ecke, doch die Bretter liegen; lange Bälle abgefangen von Leusmann, von Otto und von Gehlen. Der Ball im Aus.
Die Schluss-Sirene ging im Jubel der Mülheimer unter.
„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“
Tore: 0:1 Benedikt Fürk (12.), 0:2 Thilo Stralkowski (15.), 1:2 Jonathan Fröschle (18./KE), 2:2 Daniel von Drachenfels (22.), 3:2 Jonathan Fröschle (33./KE), 3:3 Jan Gehlen (38.), 3:4 Johannes Schmitz (39.), 3:5 Thilo Stralkowski (40.), 4:5 Jonathan Fröschle (50.), 5:5 Jonathan Fröschle (58.), 5:6 Ole Keusgen (64.), 6:6 von Drachenfels (73./KE), 6:7 Jannik Otto (75.).